EU-Migrationsgipfel – Ein Gipfel der Heuchler und der Heuchelei

Special European Council am 9.2.2023 zum Thema Migration. Bild: EU

„Seid umschlungen Millionen, diesen Kuss der ganzen Welt“. Darauf spielt die Hymne der EU an, die ihre Menschheitsverbrüderung mit Mauern, Zäunen, Grenzsicherung durchsetzt.

 

Im Rahmen ihres Gipfeltreffens in Brüssel, nach Gruppenfoto und Treffen mit Ukraine-Präsident Selenskij, haben sich die 27 Regierungschefs der EU auch mit dem Thema Migration befasst. Früher hieß der Tagesordnungspunkt Gemeinsame Asylpolitik und war den ständig steigenden Flüchtlingszahlen gewidmet. Nun heißt er Migrationspolitik, womit zum Ausdruck gebracht wird, dass es sich bei den Flüchtenden nicht um Menschen in einer Notlage handelt, sondern um Auswanderer, die ihr Glück in einem anderen Land suchen. Auch wird ihre Situation unter dem Titel illegale Einreise zum Thema, womit die Politik deutlich macht, dass sie es bei den Flüchtlingen eigentlich mit Straftätern zu tun hat.

Wertorientierter Umgang mit Menschen in Not

Mit ihrer Kennzeichnung des Personenkreises mal als Flüchtlinge, mal als Migranten oder Grenzverletzer geben die Regierungschefs zu erkennen, dass sie definieren, wann ein Handeln im Lichte der Humanität zu deuten und wann ein grenzpolizeilicher Blick auf lauter Vergehen angebracht ist. Sie legen eben fest, wie die Werte zu verstehen und in Anschlag zu bringen sind, auf die sie sich in ihrer Wertegemeinschaft (woraus die EU ja bestehen soll) berufen. Deshalb ist auch die Sicherung der Außengrenzen der EU nicht als ein Akt der Asyl-Verweigerung zu sehen, sondern als Kundgabe, wie das Asylrecht immer schon zu begreifen war – nämlich als Mittel der Außenpolitik der betreffenden Länder.

So sind ukrainische Flüchtlinge willkommen und ein Ausweis europäischer Humanität, weil sie der lebende Beweis für die unmenschliche Politik Russlands sind. Also werden sie rasch und unbürokratisch aufgenommen und entsprechend umsorgt. Ausgedient haben dagegen Asylbewerber aus Afghanistan. Schließlich hat die Nato beschlossen, dass dieses erfolgreich zerstörte Land – in dem u.a. die Bundeswehr 20 Jahre lang wütete – sich selbst überlassen werden kann, denn die Taliban werden wohl alle Hände voll zu tun haben, ihre Macht zu sichern und ihr Volk irgendwie über die Runden zu bringen.

Ausgedient haben zum Beispiel auch die Jesiden, die vor einiger Zeit noch das menschliche Beweismaterial gegen den Islamischen Staat und Syriens Präsident Assad waren. („Immer weniger jesidische Flüchtlinge aus dem Irak werden in Deutschland anerkannt. Dabei hat der Bundestag gerade erst gefordert, den Überlebenden des Völkermordes hier Schutz zu gewähren.“ sueddeutsche.de, 3.2.23) Menschen aus den Kriegsgebieten Syrien, Libanon, Irak sind nicht mehr von Interesse und es gilt, deren Fluchtwege zu stoppen. Menschlichkeit im Sinne wertorientierter Außenpolitik hat eben so ihre Konjunkturen …

Sicherung der EU-Außengrenzen

So heißt jetzt das vorrangige Thema europäischer Migrationspolitik: „Es geht vor allem um eine stärkere Sicherung der Außengrenze und mehr Abschiebungen. Deutschland unterstützt die Pläne für mehr Grenzschutz.“ Es ist also nichts anderes geplant als die Umzäunung der EU mit möglichst hohen Stacheldrahtzäunen, inklusive Überwachungskameras und Alarmanlagen. Erinnerungen an eine „unmenschliche“ Grenze, die einst zwei deutsche Staaten voneinander trennte, dürfen da natürlich nicht aufkommen. Hier und jetzt regiert ja die Humanität!

Ansonsten muss dafür gesorgt werden, dass andere Länder die Elendsfiguren gar nicht erst auf „uns“ loslassen, also auf den Weg nach Norden oder aufs Mittelmeer, sondern sie gleich einfangen und einsperren. Private Rettungsaktionen gilt es zu behindern. Nach dieser Logik ist es eben besser, dass diejenigen, die nicht erfolgreich eingefangenen wurden, im Mare Nostrum ertrinken, als dass sie den Boden der EU erreichen. Und so können sich weiterhin jedes Jahr zum 13. August deutsche Politiker mit Trauermine in Szene setzen, um der Mauertoten zu gedenken, während tausendfach Menschen im Mittelmeer sterben.

Dabei könnte man sich hier noch an einige andere Gipfelleistungen der Inhumanität erinnern, denn vor nicht allzu langer Zeit galt der Bau von Mauern auch bei Bündnispartnern als Ausweis menschenverachtender Politik – etwa im Fall der Grenze zwischen den USA und Mexiko, die ein Donald Trump paramilitärisch befestigte, oder des Zauns, den der ungarische Präsident Orban errichtete.

Das war damals schon als reine Heuchelei erkennbar. Die Aufmerksamkeit richtete sich ja nicht auf den meterhohen Zaun vor den spanischen Exklaven in Afrika oder die scharf bewachte Mauer Israels in Palästina. Es kommt eben nicht darauf an, was der Zaun oder die Mauer jeweils bewirkt, sondern darauf, in welchem Verhältnis die hiesigen Regierungen jeweils zu den auswärtigen Mächten stehen. Schließlich hatte Trump mit seiner Politik des „America first!“ auch den Konkurrenten aus Europa den Kampf angesagt – und da kam jeder Anlass gelegen, einen solchen Politiker moralisch anzugreifen. Ein Orban, der darauf bestand, für seine Außengrenzen selber die Entscheidungen zu treffen, und der der EU, damit auch Deutschland, eine Mitsprache über sein Hoheitsgebiet verweigerte, disqualifizierte sich eben im Gegensatz zu Spanien, das sich EU-konform verhielt. Und dass sich Israel vor den von ihm terrorisierten Palästinensern schützen muss, ist ebenfalls von Kritik ausgenommen, denn der hochgerüstete Staat sorgt mit seinem Militär für eine dem Westen genehme Ordnung im Nahen Osten.

Wenn jetzt die verschiedenen EU-Mitglieder von der EU Geld für ihre Zäune wollen, so hat dies zwei Seiten. Einerseits ist klargestellt: Dass niemand mehr ohne Genehmigung in die EU gelangt, geht in Ordnung; dafür ist Brüssel auch bereit zu zahlen. Andererseits will die Union damit eine Mitsprache bei der Ausübung der Hoheit über die Grenzen und bei der Behandlung der dort ankommenden Menschen. Insofern hält sich die EU dann auch wieder bei der Finanzierung der Zäune zurück und überlässt es den Ländern, EU-Gelder für die Grenzsicherung umzuwidmen. Womit eben öffentlich klargestellt wird, dass die EU sich keineswegs abschottet, wenn sie sich abschottet. Dies machen ja die einzelnen Länder. Dabei gilt es als ausgemachte Sache, dass die EU sich dem Ansturm der Migranten und illegal einreisenden Menschen erwehren muss.

Der Druck auf die EU durch den Flüchtlingsstrom

Die Sachlage ist also eindeutig: Scholz verwies nach dem Gipfel zwar darauf, dass das Wort „Zäune“ im Beschluss nicht vorkomme, sagte aber gleichzeitig, es gehe schon darum, „dass an einigen Grenzen Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden“. Dass die Bundesregierung diese Beschlüsse mittrage, sei „ein klarer Bruch des Koalitionsvertrags“, hieß es dagegen von linken Kritikern. „Eigentlich habe sich die Koalition dafür einsetzen wollen, das Leid an den Außengrenzen zu mindern.“ (MiGazin, 12.2.23)

Und unsere Mainstream-Medien? Kommt von ihnen ein Aufschrei angesichts der Tatsache, dass Inhumanität und Heuchelei bei Vertretern der wertebasierten Weltordnung mit Händen zu greifen sind? Weit gefehlt! Man ist weitgehend in Übereinstimmung mit den offiziellen Ansagen. Das heißt: Nicht die Flüchtlinge sind in Not, sondern die EU, die sich ihres Ansturms erwehren muss. Und dass der Strom der Notleidenden nicht weniger wird, dafür haben die EU, die USA und der sogenannte Westen ja einiges getan.

Man muss nur auf die lange Liste der Kriege schauen, die die gepriesene Friedensordnung nach dem Zweiten Weltkrieg so hervorgebracht hat. Kriege sind hier ja nicht ausgestorben, sondern werden mit unschöner Regelmäßigkeit geführt. Die Bundeswehr steht z.Zt. beispielsweise in Mali und stützt eine Regierung, die diese Hilfe gar nicht nachfragt. Deutschland will nämlich die Kontrolle über diese Region nicht den dort Regierenden überlassen, die sich womöglich mit islamischen Gruppen arrangieren oder die Fluchtwege nach Europa als Einnahmequelle betrachten. Natürlich soll man das nicht als kriegerischen Einsatz beim Namen nennen, sondern als „Friedensmission“ oder „Auslandseinsatz“ beschönigen. Es handelt sich sozusagen um „Spezialoperationen“, was die hiesige Presse der Politik auch abnimmt und nur dann skeptisch wird, wenn ein Putin sich dieser Terminologie bedient.

Doch nicht nur in Mali ist die Bundeswehr im Einsatz. Auch auf dem Balkan hat sie einiges zu tun, wo sie in Folge des Kosovokriegs – übrigens eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs der NATO, an dem sich Deutschland beteiligte – einiges an Elend hinterlassen hat. Afghanistan ist ein weiteres Beispiel ebenso wie Syrien, wo der Westen alles getan hat, um das dortige Regime mit Waffenlieferungen an Staatsfeinde wie durch Wirtschaftssanktionen zu stürzen. Libyen wäre als weiterer Fall zu nennen, wo der Westen mit seiner Intervention elende Lebensverhältnisse hinterlassen hat, und im Jemen führt Saudi-Arabien einen Krieg, ausgestattet mit deutschen Waffen. Das sind nur einige Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, wobei sich die Liste mühelos erweitern ließe.

Doch nicht nur mit Kriegen hat der Westen jede Menge Fluchtgründe geschaffen. Die globalisierte Marktwirtschaft als Resultat der hochgelobten regelbasierten Weltordnung – immerhin unser Rechtstitel im Kampf gegen das „neoimperialistische“ Russland – steht dafür ein, dass in weiten Teilen der Welt Hunger und Elend herrschen. Da ist etwa der durch die rücksichtslose Benutzung der Natur von den kapitalistischen Ländern verursachte Klimawandel zu nennen, der viele Menschen durch Trockenheit oder Überschwemmungen ins Elend stürzt. Große Teile der Bevölkerung wurden und werden von ihren gewohnheitsmäßig genutzten Flächen vertrieben, weil sie über kein staatlich verbrieftes Eigentumsrecht verfügen. Ihr Land wird von den eigenen Regierungen an Kapitalgesellschaften vergeben, die die dortigen Rohstoffe ausbeuten, die Ländereien für den Anbau von Gemüse, Obst oder Blumen für den Markt in den Metropolen nutzen oder die Wasserquellen monopolisieren; Nutznießer sind Konzerne wie Nestle oder Coca-Cola.

So steht der Flüchtlingsstrom für die umfassende Ruinierung von Mensch und Natur durch die Nutzung für das Geschäft und die Macht der kapitalistischen Staaten. Dass diese Nutzung ungestört ihren Gang weiter geht, war die Sorge des EU-Gipfels. „Ein Sieg der Hardliner“, kann man mit der Flüchtlingsorganisationen „Pro Asyl“ dazu sagen: Die Beschlüsse sind „ein Dokument der Härte und Herzlosigkeit“. Mehr Mitmenschlichkeit dagegen einzuklagen, bleibt aber solange ein Akt der Hilflosigkeit, wie kein Einspruch gegen diese brutalen Benutzungsverhältnisse erfolgt – gegen Verhältnisse, die nicht nur im globalen Süden, sondern auch in den Metropolen die Existenz von Millionen Menschen immer prekärer werden lassen.

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6 Kommentare

  1. Das „Wüten“ der Brunnenbohrorganisation Bundeswehr soll für das Elend der Welt verantwortlich sein? Dieses Elend hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr wesentlich verringert, nicht nur in China. Das große Problem ist die Bevölkerungsexplosion in Afrika und im arabischen Raum. Dort wird eine r-Reproduktionsstrategie verfolgt, gleichzeitig verhindert die Mentalität und die Kultur, dass sich ein kapitalistischer Arbeitsethos entwickelt. Die Lösung: Den Geburtenüberschuss nach Europa exportieren. Das allen offenstehende Sozialsystem in Deutschland wirkt wie ein riesiger Magnet. Die Millionen seit 2015 eingewanderten „Fachkräfe“ leben mehrheitlich von Sozialtransfers. Das Land wird zu einem großen Kalkutta. Es gibt zu wenig Wohnraum, heizen wird zum Luxus (außer für Transferempfänger), die Nahrungsmittelpreise explodieren, die Infrastruktur verfällt ebenso wie das Bildungssystem, Medikamente sind nicht mehr verfügbar. Wie wird es weitergehen? Unterwerfung der autochtonen Bevölkerung? Bürgerkrieg?
    In einem bin ich mit dem Autor einig: Die Bundeswehr hat in fernen Weltgegenden nicht verloren, sie sollte hierzulande die Grenzen bewachen.

  2. Wenn einem die Worte fehlen, sollte man einfach die Klappe halten.
    Es gelingt mir jedoch nicht!
    Wie kann einer obigen Beitrag lesen und dann so reagieren wie ein „Vogelfrei“……, mir ein Rätsel. Ein erschreckendes Rätsel.
    “ Reproduktionsstrategie“, „Mentalität und die Kultur“, „kapitalistischer Arbeitsethos“, „Unterwerfung der autochthonen Bevölkerung“ und dass Heizen sich nur noch Transferempfänger leisten könnten……. etc.pp……
    Also irgendwo ist auch mal Schluss. Das ist bei aller „Liberalität“ doch nicht mehr erträglich. Mich persönlich etsetzt das nur. Zutiefst.

    1. Eigentlich wäre noch mehr anzumerken, etwa: Wir sind bei ca. 50 Messerangriffen pro Tag (!) angelangt. Reaktion der „progressiven“ Erwachten: Die Frage nach den Vornamen der Täter soll zum Tabu erklärt werden.

      1. „Vogelfrei“, … gibt es noch mehr Irrungen und Verwirrungen neben den bereits in Deinem „Elaborat“ Aufgezählten? In Deinem Fall liegen nicht liberale sondern libertäre Irrtümer vor!

        1. Irrtümer sind immer möglich. Es irrt der Mensch, solang er strebt. Aber es gibt einige, die genau das nicht verstehen und sich im Besitz absoluter Wahrheit wähnen.

      2. Ich kann Ihnen sagen, wo wir angelangt sind: Dass solche Rassisten wie Sie ‚Overton‘ kommentieren. Eigentlich bietet Ihnen die Zeitung doch die Möglichkeit (ja – nur die Möglichkeit) andere Zusammenhänge zu konstruieren als die, die Sie da zusammenbasteln.

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